Gewerkschaften erholen sich vom Corona-Schock

Es ist bemerkenswert, wie die Gewerkschaften im letzten Jahr einen kleinen Ansturm erlebt haben. Sowohl Verdi, die große Dienstleistungsgewerkschaft, als auch die kleinere Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sind 2023 gegen den langjährigen Trend wieder gewachsen. Selbst die IG Metall konnte mit fast 130.000 Neuzugängen annähernd eine ausgeglichene Bilanz vorweisen.

Interessanterweise scheint es gerade bei der jüngeren Generation wieder beliebter zu werden, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren. Dies steht im Gegensatz zu früheren Jahren, wo Mitgliederzahlen meist nur rückläufig waren.

Demografische Herausforderungen für Gewerkschaften

Allerdings machen den Gewerkschaften ähnlich wie anderen gesellschaftlichen Institutionen demografische Veränderungen zu schaffen. Mit dem Ruhestand steigen ältere Mitglieder aus oder sterben weg. Das hat beispielsweise dazu geführt, dass die Verkehrsgewerkschaft EVG und die IG Bergbau Chemie Energie 2023 geschrumpft sind.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) plant seine endgültigen Zahlen für seine acht Mitgliedsgewerkschaft am Mittwoch (31.Januar) vorzulegen. Ein Jahr davor waren dort über 5,6 Millionen Menschen organisiert.

Auf dem Prüfstand: Die Babyboomer

Verdi-Chef Frank Werneke warnt jedoch davor, dies bereits als langfristige Trendwende zu interpretieren. Die eigentliche Herausforderung steht den Gewerkschaften noch bevor: der massenhafte Wechsel der Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand.

Es ist nicht nur wichtig, neue Mitglieder zu gewinnen, sondern auch die neu gewonnenen Mitglieder zu halten", betont Tarifexperte Reinhard Bispinck. Insbesondere in Krisenbranchen wie dem Baugewerbe sei es sehr schwierig, neue Mitglieder zu finden.

Gewerkschaftsarbeit und Arbeitsmarkt

Thorsten Schulten vom WSI-Tarifarchiv der Böckler-Stiftung sieht jedoch eine grundsätzlich starke Position der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt. Dies könnte von den Gewerkschaften genutzt werden. Arbeitnehmer entwickeln angesichts hoher Nachfrage ein neues Selbstbewusstsein zum Wert ihrer Arbeit und fordern entsprechende Anerkennung. Sie möchten aktiv in die gewerkschaftliche Arbeit eingebunden werden.

Mitgliedergewinnung während Streikzeiten

Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der Wirtschaft (IW Köln) spricht zwar nicht von einem langfristigen Trend, aber erkennt an, dass es den Gewerkschaften im letzten Jahr gelungen ist, ihre zunehmend aggressiven Arbeitskämpfe zur Mitgliedergewinnung einzusetzen.

Gute Beispiele dafür sind Verdi und die NGG, die 2023 in einer fragmentierten Niedriglohnbranche mehr als 400 Arbeitskämpfe führten und häufig zweistellige Lohnsteigerungen erzielten. Streikzeiten sind gute Zeiten zur Mitgliedergewinnung, dies gilt auch für konkurrierende Eisenbahngewerkschaften wie EVG und GDL.

Richtlinie der EU-Kommission

Die EU-Kommission strebt eine Tarifbindung von 80 Prozent in den Mitgliedstaaten an. Deutschland ist davon mit rund 50 Prozent der Beschäftigten weit entfernt. Die tarifgebundenen Unternehmen wenden die vereinbarten Gehälter und Regelungen auf alle Beschäftigten an - nicht nur auf juristisch berechtigte Gewerkschaftsmitglieder.

Trotzdem erreichen die Gewerkschaften unter allen Arbeitnehmern nur einen Organisationsgrad von 17 Prozent, so Lesch. Er meint jedoch, dass sich der Staat zurückhalten sollte.

Mögliche Maßnahmen der Ampel-Koalition

WSI-Forscher Schulten sieht hingegen mehrere Handlungsfelder für die regierende Ampel-Koalition, welche letztlich den Gewerkschaften zugute kommen könnten.

Veränderungen in Subventionen und öffentlichen Aufträgen

Es ist an der Zeit, die Vergabe von Subventionen und öffentlichen Aufträgen zu überdenken. Du solltest wissen, dass diese künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden sollten, die sich an Tarifverträge halten. Zudem sollte es einfacher sein, einmal unterzeichnete Tarifverträge für den jeweiligen Sektor als allgemein gültig zu erklären.

Diskussion um OT-Mitgliedschaften

Aber das ist noch nicht alles. Wir müssen auch über die sogenannten OT-Mitgliedschaften (ohne Tarif) in Arbeitgeberverbänden sprechen. Diese Praxis ermöglicht es Unternehmen im Grunde genommen, offiziell tarifliche Vereinbarungen zu umgehen - eine Vorgehensweise, die beendet werden sollte.