Nearshoring im Trend: Was hinter dem Begriff steckt
„Nearshoring“ bezieht sich auf die Struktur der Lieferkette eines Unternehmens. Wie das Wort „near“ schon andeutet, befinden sich hierbei die zentralen Punkte der Supply Chain in örtlicher Nähe zum Hauptunternehmen und nicht in weiter entfernten Regionen wie beim „Offshoring“.
Unternehmen der DACH-Länder organisieren ihr Nearshoring beispielsweise so, dass sich die Standorte von Produktionsstätten oder Lieferantenbetrieben, die das Hauptunternehmen mit bestimmten Komponenten zur Weiterverarbeitung oder sogar mit fertigen Produkten versorgen, entweder im gleichen Land des Unternehmens oder in direkt angrenzenden EU-Nachbarländern befinden.
5 Vorteile von regionalen Lieferketten
Im Zuge der Globalisierung erschien es für viele Unternehmen lange Zeit besonders attraktiv, fernab des Unternehmensstandorts zu produzieren. Niedrigere Löhne und günstigere Materialkosten gaben häufig den Ausschlag im Lieferkettenmanagement, bevorzugtes Ziel waren hierbei vor allem Länder in Fernost.
In jüngster Zeit kommt es aber beispielsweise in China zu einer deutlichen Steigerung des Lohnniveaus[2], wodurch die Offshoring-Produktion für viele Unternehmen weniger lukrativ ist. Die Alternative sehen viele Konzerne in regionalen Lieferketten, was eine Reihe interessanter Möglichkeiten und Vorteile eröffnet:
1. Kürzere Lieferzeiten
Je kleiner die Distanz zwischen Hauptunternehmen und Zulieferbetrieb, desto effizienter die Supply Chain – und damit die anknüpfende Warenproduktion und -distribution. Längere Transportwege ziehen im Umkehrschluss potenzielle Verzögerungen nach sich, wodurch Unternehmen im Extremfall die Nachfrage nach Produkten über einen längeren Zeitraum nicht mehr decken können.
2. Sparen von Zöllen & Einfuhrsteuer
Der Import von Produkten aus Ländern, die nicht der EU angehören, geht prinzipiell mit der Entrichtung von Zöllen und Einfuhrsteuern einher. Entscheiden sich Unternehmen für den Bezug von Waren aus dem direkten Umland, entfällt dieser Kostenfaktor. Im Gegenzug hat Ihr Unternehmen womöglich sogar Anspruch auf staatliche oder EU-Subventionen.
Eine McKinsey-Studie von 2020 prognostiziert, dass Unternehmen aus 23 Industriesparten in den nächsten fünf Jahren ungefähr 25 Prozent ihrer Supply Chains wieder in heimische Regionen zurückverlegen könnten.
3. Höhere unternehmerische Resilienz
Unter der Resilienz von Unternehmen versteht man die Fähigkeit, auf problematische Veränderungen reagieren zu können. Im Hinblick auf das Lieferkettenmanagement können solche Krisenzustände durch Naturkatastrophen, Handelskonflikte oder politische Entscheidungen ausgelöst werden, die die Zusammenarbeit mit Handelspartnern in weiter entfernten Regionen erschweren oder gänzlich verhindern.
Eine stärker regional ausgerichtete Lieferkette trägt zu einer höheren unternehmerischen Resilienz bei, da Risikofaktoren minimiert werden und im Regelfall eine höhere Planungssicherheit besteht.
4. Bessere Nachhaltigkeit
Lange Transportwege gehen einher mit einer größeren Umweltbelastung. Befinden sich die Anlaufpunkte Ihrer Lieferkette hingegen im näheren Umkreis, können so CO2-Emissionen gezielt reduziert werden. Und eine nachhaltigere Umweltbilanz Ihres Unternehmens bedeutet auch, dass Sie künftig Öko- und CO2-Steuern sparen.
5. Positiver Country-of-Origin-Effekt
Lokal gefertigte Produkte mit dem Siegel „Made in Germany“ oder „Made in Europe“ genießen bei Kund:innen ein hohes Ansehen. Mit einer regional strukturierten Supply Chain können Sie diesen Country-of-Origin-Effekt nutzen, indem Sie Ihre Zielgruppe durch gezielte Marketingmaßnahmen darauf aufmerksam machen, dass Ihr Unternehmen lokal produziert. Dies steigert potenziell die Nachfrage gegenüber Ihren Produkten und führt im Idealfall zu einer Umsatzsteigerung.
Je kleiner die Distanz zwischen Hauptunternehmen und Zulieferbetrieb, desto effizienter die Supply Chain – und damit die anknüpfende Warenproduktion und -distribution.
Nearshoring für Ihr Unternehmen – 3 Analysetipps
Die Umstellung auf Nearshoring sollte akribisch geplant sein und die praktische Umsetzung erfolgt nicht von heute auf morgen. Ermitteln Sie mit diesen 3 Analysetipps schon im Vorfeld, ob sich eine Anpassung Ihrer Supply Chain lohnt:
1. Kalkulieren Sie globale und regionale Kosten
Berechnen Sie zunächst alle übergeordneten Kosten Ihrer Lieferkette – global wie lokal. Folgende Kategorien spielen hierbei eine Rolle:
- Lohnniveau
- Material-, Anlagen- und Energiekosten
- Transportkosten
- Steuern und Zölle
Eine Gegenüberstellung der beiden Summen dient als erste Orientierung, ob eine Anpassung Ihrer Supply Chain grundsätzlich für Sie in Frage kommt.
2. Bewerten Sie das Potenzial einer lokalen Lieferkette
Die beschriebene Kostenaufstellung entscheidet nicht alles, schließlich bietet Ihnen Nearshoring bei Ihrer Produktion Vorteile, die sich nicht direkt in Zahlen darstellen lassen. Prognostizieren Sie, wie mehr Kundennähe, schnellere Reaktionsfähigkeit auf Marktveränderungen und die bessere Verfügbarkeit Ihrer Waren bei Ihrem Unternehmen ins Gewicht fallen.
Wenn Sie in der Vergangenheit aufgrund von langen Transportwegen oder Materialknappheit am Produktionsstandort Lieferengpässe beklagen mussten, können Sie diesen Schwachpunkt mit einer regionaler strukturierten Supply Chain zum Positiven verändern.
3. Ermitteln Sie regionale Zulieferbetriebe
Prüfen Sie schließlich mit Ihrer Einkaufsabteilung, ob sich im näheren Einzugsbereich Ihres Unternehmens ausreichend Zulieferbetriebe befinden.
Hierbei ist es wichtig, Ihr strategisches Lieferkettenmanagement gesamtheitlich zu betrachten: Ein Nearshoring kann nur dann produktive Ergebnisse erzielen, wenn alle elementaren Positionen in Ihrer Supply Chain mit regionalen Lieferanten besetzt sind. Wenn Sie einzelne Komponenten weiterhin aus weiter entfernten Ländern beziehen, können die längeren Transportwege und hieraus resultierenden Verzögerungen die positiven Effekte Ihrer ansonsten regional strukturierten Lieferkette neutralisieren.
Regionales Lieferkettenmanagement als sinnvolle Alternative
Auch wenn sich bei Lieferketten weitestgehend Globalität durchgesetzt hat, können KMUs zukünftig von regionalerem Supply Chain Management profitieren. Kürzere Lieferzeiten, eine positivere Öko-Bilanz und eine bessere unternehmerische Resilienz sind hierbei zentrale Faktoren.
Die wichtigsten Punkte haben wir für Sie zusammengefasst:
- Nearshoring bezeichnet die Ausrichtung von Lieferketten näher am Hauptstandort eines Unternehmens.
- Durch regionale Lieferketten können Unternehmen Zölle und Einfuhrsteuern sparen sowie die gesteigerte Nachfrage nach lokal hergestellten Produkten bedienen.
- Beim Aufbau einer regionalen Supply Chain ist ein gesamtheitlicher Ansatz wichtig, der alle Knotenpunkte der Lieferkette abdeckt.
[1] McKinsey: Lieferketten werden sich dramatisch verändern (2020).
[2] Handelsblatt: Von wegen billig – die Löhne in China steigen rasant (2018).