Mit Jan-Wolf Baake im Gespräch
American Express: Herr Baake, Sie arbeiten bereits seit 16 Jahre bei DB – dabei wurde es Ihnen dank neuer Herausforderungen nie langweilig. Welchen Herausforderungen stehen Sie gerade gegenüber?
Jan-Wolf Baake: Das Reiseverhalten und vor allem die Einstellung zu Geschäftsreisen hat sich auf Grund der Pandemie und auch auf Grund des Klimawandels deutlich verändert. Gleichzeitig sind die Strukturen komplexer geworden und Anforderungen gewachsen. Die DB steht somit vor der Herausforderung, die traditionelle Bahn mithilfe der Digitalisierung weiterzuentwickeln. Darüber hinaus sind wir dabei, als Deutsche Bahn Antworten auf neue Mobilitätsbedürfnisse in Form von neuen Angeboten zu finden. Wir wollen nicht nur ein Verkehrsmittel sein, sondern ein Mobilitätsanbieter, der gemeinsam mit Kund:innen Lösungen entwickelt und beratend zur Seite steht.
Wenn Sie von der Erneuerung der „traditionellen Bahn“ sprechen, wo sehen Sie da das größte Optimierungspotenzial?
Unser Ziel ist es bis 2030 in Summe 260 Millionen Reisende in die Züge zu holen. Um das zu erreichen, verfolgen wir ein ganzheitliches Strategieprojekt – die „Starke Schiene“–, um unsere Potenziale in allen Unternehmensbereichen zu realisieren. Dazu gehört beispielsweise unseren Takt noch weiter erhöhen, indem wir mehr und modernere Züge fahren lassen. Dafür müssen wir zum einen die Schienen digitalisieren, und zum anderen die Instandhaltung der Fahrzeuge optimieren. Defekte sollen künftig schneller erkannt und behoben werden.
Wir wollen nicht nur ein Verkehrsmittel sein, sondern ein Mobilitätsanbieter, der gemeinsam mit Kund:innen Lösungen entwickelt und beratend zur Seite stehen.
Sie sprechen bei der „Starken Schiene“ von einem ganzheitlichen Projekt – was gehört noch dazu?
Unsere Optimierungspotenziale hören definitiv nicht hinter der Schiene auf. Wir werden Unternehmen in Zukunft nicht nur Geschäftsreisen, sondern ganzheitliche Mobilitätslösungen anbieten. Dazu gehören Jobtickets, die wir mit DB-Regio als Deutschlands größtem Nahverkehrsunternehmen, verwirklichen können ebenso wie natürlich Fahrräder und E-Scooter, autonome Busse oder die Nutzung eines Mobilitätsbudgets via App – aber auch: Hilfe bei der Infrastrukturfindung, wenn es um die Neuansiedlungen von Unternehmen geht, zum Beispiel um Einsparpotenziale beim Parkraum zu realisieren.
Auch der Bereich New Work wird derzeit weiterentwickelt. Hierbei ist es der Plan, die Arbeitsmöglichkeiten so auszubauen, dass die Bahn als „Dritter Ort“ – quasi als Bindeglied zwischen Wohn- und Arbeitsort – dienen kann. Vielleicht werden wir der neue Arbeitsplatz, an dem sich Geschäftsreisende aufhalten können.
Sie möchten mehr zu den New-Work-Konzepten von DB erfahren? In einem weiteren Interview mit Herrn Baake, geht der Experte auf das Arbeiten unterwegs und neue Co-Working-Möglichkeiten der Bahn ein – jetzt lesen!
Doch nicht nur die DB verändert sich, sondern auch die Bedürfnisse der Reisenden – erstens durch das wachsende Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit und zweitens durch die Pandemie. Wie macht sich das für Sie bemerkbar?
Wir konnten in den letzten Jahren auf jeden Fall eine Veränderung im Reiseverhalten beobachten: Die Akzeptanz für die Bahn ist deutschlandweit gestiegen – ich denke, weil wir klimafreundlich unterwegs sind und so die Klimawende effektiv unterstützen.
Dann kamen Corona und die Reisebeschränkungen. Viele Großkonzerne zögern noch immer, Geschäftsreisen anzutreten. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen merken wir hingegen, dass die Reisetätigkeit im Moment stark zunimmt. Hier lebt das tägliche Geschäft besonders vom engen Kontakt mit Kund:innen und Partner:innen – Reisen sind für kleinere Unternehmen absolut notwendig. Gleiches gilt für die Beratungsbranche.
Trotzdem: Geschäftsreisen werden nicht zu 100 % zurückkehren. Alte Reisegewohnheiten werden nach der Pandemie überdacht. Ich glaube, viele Menschen stehen an einem Scheideweg, an dem sie sich die Frage stellen: Mit welchem Verkehrsmittel werde ich zukünftig reisen?
Und wie helfen Sie diesen Menschen bei der Entscheidung?
Wir merken, dass viele Unternehmen in die Entscheidung für das Verkehrsmittel von Beginn an eingreifen möchten und das Thema Nachhaltigkeit als Kernziel platzieren. Hier gehen wir mit den Unternehmen in die Diskussion und beraten sie für die Zukunft: Wir präsentieren unser Portfolio und erklären, welche Bedürfnisse wir stillen können. Ein Vorteil ist zum Beispiel, dass Unternehmen jederzeit eine TÜV-zertifizierte Umweltbescheinigung abrufen können – sie können sogar einsehen, wie viel CO2 sie durch die Geschäftsreise mit der Bahn einsparen.
Können Sie uns mehr über den Aspekt der Klimaneutralität erzählen?
Schon heute fahren wir im elektrifizierten DB Fernverkehr mit 100 % Öko-Strom aus erneuerbaren Energien. Viel erzeugen wir mit Wasser, Sonne und Wind selbst – da wissen wir, wo es herkommt. Und wenn wir Strom dazukaufen, dann achten wir darauf, dass der Strom nicht „grün gewaschen“ ist. Den Strom, den wir an unsere Kund:innen weitergeben, muss im Einklang mit unserer Unternehmensphilosophie stehen. Die DB ist der größte Stromverbraucher in Deutschland. Auf der Fahrt von München nach Hamburg können unsere Lokführer:innen mit dem ICE3 im Fernverkehr 1.300 Kilowattstunden Strom einsparen, das ist so viel wie ein Single-Haushalt pro Jahr durchschnittlich verbraucht. An diesem Beispiel wird klar, warum es so wichtig ist, auf grünen Strom zu setzen. Und es zeigt auch, was für einen großen Unterschied die Umstellung macht."
In unserem Geschäftskundenprogramm bahn.business sind wir sogar schon einen Schritt weiter: Unsere bahn.business Kunden fahren auf Ihrer Geschäftsreise im elektrifizierten DB Nah- und Fernverkehr mit 100% Ökostrom.
Den Strom, den wir an unsere Kund:innen weitergeben muss im Einklang mit unserer Unternehmensphilosophie stehen.
Zusätzlich zur Verwendung erneuerbarer Energien: Welche Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit ergreift DB noch – jetzt und in Zukunft?
Nachhaltigkeit ist Teil aller Unternehmensbereiche und umfasst große wie kleine Maßnahmen. Beispielweise sollen To-Go-Becher langfristig Porzellantassen weichen, Bestellungen am Sitzplatz unnötigen Verpackungsmüll vermeiden. Außerdem sind wir auf der Suche nach nachhaltigen Alternativen zu Toilettenpapier sowie nach umweltfreundlichen Lösungsmitteln zum Reinigen von Graffiti.
Darüber hinaus erhalten alte Zugmodelle Energieanpassungen und effizientere Motoren. Auf Strecken, auf denen noch immer Züge mit Dieselantrieb fahren – beispielsweise nach Sylt, wo sich der Stromausbau schwierig gestaltet – arbeiten wir an Alternativen: wie Wasserstofftechnologie und andere modernere Antriebsformen. Modernisierung und Innovation sind für DB essenzielle Bestandteile von Nachhaltigkeit.
Die Zukunft der Geschäftsreise soll aus Ihrer Sicht aber nicht nur grüner, sondern auch digitaler und – dadurch – flexibler werden. Wie kann das aussehen?
Ein Beispiel dafür, wie Digitalisierung für mehr Flexibilität sorgen kann, ist das 20-Fahrten-Ticket, das wir zu Beginn der Pandemie eingeführt haben. Wir haben bemerkt, dass unser Preissystem mit einem Monats- und einem Wochenticket zu starr für die schnell wechselnden Bedürfnisse der Kund:innen war. Als digitales Produkt für den Fernverkehr konnten wir das 20-Fahrten-Ticket sehr schnell auf den Markt bringen und Reisenden mehr Freiheiten schenken. Gerade jetzt, wo viele teils im Büro und teils im Homeoffice arbeiten, ist dieses Ticket ideal.
Auch im Nahverkehr arbeiten wir derzeit an neuen, digitalen Ticketformaten nach dem Pay-per-Use-Prinzip: Hierbei erkennt das System, wo der Fahrgast eingestiegen ist, und berechnet die anfallenden Fahrtkosten beim Aussteigen – gezahlt wird digital. So gehören Umbuchungen, Stornierungen und Co. allesamt der Vergangenheit an.