In Ihren Arbeiten geht es um die Verbindung zwischen Mensch, Technik und Natur – das Motto Ihres Studios lautet sogar, dass Sie die Menschheit durch Technologie wieder mit der Natur verbinden wollen. Was genau hat es damit auf sich?
Ralph Nauta: Wir programmieren natürliche Bewegungen. Dadurch erzeugen unsere Kunstwerke einerseits ein Gefühl von Zugehörigkeit, wecken aber auch die Sehnsucht nach einer Verbindung mit unserer natürlichen Umgebung, die uns in unserer heutigen Gesellschaft so fehlt. Wir entwickeln unsere Kunstwerke intern, mit Technologien, die so noch nicht existiert haben.
Lonneke Gordijn: Unsere Sprache ist Bewegung und Licht. Auf diese Weise erreichen wir die Menschen in ihren Körpern, nicht im Gehirn, also wirklich durch Emotion und Erfahrung. Wir verwenden neue Technologien, um Bewegungen der Natur zu imitieren – unsere Arbeiten fühlen sich aber nie technisch, sondern ganz natürlich an.
Erzählen Sie uns von DRIFT. Wie haben Sie sich ursprünglich kennengelernt?
Lonneke Gordijn: Das war 1999 bei einer Einführungsveranstaltung an der Designakademie in Eindhoven. Ralph und ich haben uns unterhalten und ich dachte mir: Was für ein komischer Kerl! (lacht) Wir vertieften unser Gespräch – und haben nie wieder aufgehört. 25 Jahre später versammeln wir bei DRIFT ein Team aus verschiedenen Bereichen wie Architektur, Informatik, Design, Kunst, Textil- und Grafikdesign, Ingenieurwissenschaften…
Ralph Nauta: Wir haben DRIFT 2007 gegründet, mittlerweile sind wir rund 65 Personen. Wir entwickeln den größten Teil selbst, haben also Mitarbeitende, die Software programmieren oder etwa alle beweglichen Teile für die von uns geschaffenen Skulpturen herstellen.
Welche Rolle spielen das Licht und der Himmel für Ihre Arbeiten?
Lonneke Gordijn: Wir versuchen, Räume zu schaffen, in denen Menschen ihre Gefühle erkennen oder gar neue zulassen. Licht ist eine gute Möglichkeit, Menschen anders fühlen zu lassen. Gleichzeitig arbeiten wir viel in der Luft, weil wir wollen, dass die Menschen beim Betrachten unserer Arbeiten Grenzenlosigkeit spüren. Ralph Nauta: 2008 entstand erstmals die Idee, Leuchtmittel an Drohnen zu befestigen und diese per Schwarmalgorithmen fliegen zu lassen. Der Himmel ist eine erstaunlich offene Leinwand; ein dreidimensionaler Raum, in dem man endlos arbeiten kann und der quasi keine Beschränkungen hat.
Was sind die größten technischen Herausforderungen, auf die Sie stoßen? Ihre Arbeiten wirken so leicht.
Lonneke Gordijn: Es ist sehr wichtig, dass unsere Werke mühelos und leicht wirken. Aber in Wirklichkeit steckt viel Technik dahinter, die man nicht unbedingt sieht. Es ist durchaus herausfordernd, ständig neue Technologien zu entwickeln, um Gefühle wie Leichtigkeit, Freiheit, Zugehörigkeit auszudrücken.
Sie haben ein großes Team, arbeiten an der Eröffnung Ihres eigenen Museums. Haben Sie damit gerechnet, dass DRIFT so groß wird?
Lonneke Gordijn: Als wir anfingen, hatten wir keine konkrete Vorstellung davon, was für ein Studio wir einmal sein würden. DRIFT ist sehr stark von meiner und Ralphs Persönlichkeit geprägt. Als unsere Ideen immer größer wurden, brauchten wir ein Team, um das, was wir im Sinn hatten, in die Realität umzusetzen. Manchmal gehe ich durchs Studio und sehe all diese Menschen an unseren Ideen arbeiten.
Dann bin ich so stolz und denke, dass DRIFT längst nicht nur noch unser Leben ist.
Ralph Nauta: Unser Studio ist organisch gewachsen. Die Größe variiert leicht – das hängt damit zusammen, welche Spezialfähigkeiten gerade gebraucht werden.
Bleibt bei der Leitung eines so großen Teams noch Zeit, kreativ zu arbeiten?
Ralph Nauta: Es ist eine Illusion zu glauben, als Künstler könne man nur über die eigenen Werke nachdenken. Wenn man ein bestimmtes Niveau und ein großes Publikum erreichen will, geschieht das nicht automatisch. Man muss viel Zeit damit verbringen, mit den richtigen Leuten zu sprechen, Networking zu betreiben, zu Veranstaltungen zu gehen und all die Dinge zu tun, die man eigentlich nicht tun möchte. Das gehört dazu.
Wie meinen Sie das?
Ralph Nauta: Wenn man erfolgreich sein will, muss man lernen, zu den Dingen nein zu sagen, die man wirklich tun möchte. Zum Beispiel würde ich wirklich gern im Studio an dieser Maquette arbeiten. Und dann muss ich nein sagen, weil ich mich auf etwas anderes konzentrieren muss, um das Bauen der Maquette überhaupt erst möglich zu machen.
Lonneke Gordijn: Ich würde eher sagen, dass man gewisse Opfer bringen muss, also dass man nicht immer nur das tun kann, was man liebt.
Erzählen Sie uns von Ihrer Arbeit „Shylight“, Ihrer kinetischen Skulptur, die Teil der Sammlung des Rijksmuseums ist und ab April temporär auch in der Rotunde der Pinakothek der Moderne zu sehen sein wird. Was war die Idee dahinter?
Lonneke Gordijn: „Shylight“ erinnert an blumenähnliche Strukturen, die aufgehen und förmlich von der Decke herunter fallen. „Shylight“ war eines der ersten Projekte, an dem wir direkt nach unserer Studiogründung gearbeitet haben. Damals haben wir innerhalb weniger Wochen erste Prototypen realisiert. Wir haben fünf Staubsauger gekauft, sie auseinandergenommen und in diesen Mechanismus gesteckt. Dann haben wir „Shylight“ ausgestellt, es war alles sehr grob, ganz anders als heute.
Zu beobachten, wie sich das Verhalten der Menschen in diesem Raum völlig verändert hat, war faszinierend.
Wir wollten das weiter erkunden. Es hat mehr als 10 Jahre gedauert, um es zu perfektionieren.
Braucht „Shylight“ Musik?
Lonneke Gordijn: Nicht unbedingt. Aber Shylight ist ein performatives Kunstwerk, das wir speziell für einen Raum choreografieren. Und wenn es der Raum zulässt, verwenden wir gerne Musik. Mit Musik kann man die emotionale Kommunikation noch verstärken.
Lassen Sie uns über Emotionen sprechen. Für Ihre Arbeit „Franchise Freedom“ haben sie leuchtende Drohnen im Schwarm über New York tanzen lassen. Wie hat sich das angefühlt?
Lonneke Gordijn: Wir haben so viele Jahre darauf hingearbeitet. Dann tatsächlich dort zu sein, die Menschen zu sehen, wie sie in den Central Park strömten, war surreal. Ich war aber auch sehr stolz und aufgeregt.
Ralph Nauta: New York war wirklich ein besonderes Projekt. Dafür mussten nämlich zuerst die Gesetze der Stadt New York geändert werden, weil es eigentlich nicht erlaubt ist, Drohnen über Manhattan fliegen zu lassen. Es war ein ziemliches Hin und Her zwischen Politik und verschiedenen wirtschaftlichen Interessen.
Und das ist Ihnen gelungen?
Lonneke Gordijn: Ja, das Gesetz wurde dann tatsächlich geändert und wir bekamen ein Datum für unsere Performance vorgeschlagen. Wir wussten: Wir müssen das jetzt machen, das ist unser Fenster, eine einmalige Gelegenheit. Ich habe erst realisiert, dass wir das wirklich gemacht haben, als ich die Filmaufnahmen danach gesehen habe.
Ralph Nauta: Ich bin mein schärfster Kritiker. Wenn mir etwas gefällt, erwarte ich, dass andere es auch mögen – aber das ist vielleicht nicht der Fall. Es ist großartig, Rückmeldungen zu seiner Arbeit zu bekommen und natürlich auch erleichternd, wenn das Publikum so reagiert, wie man es sich erhofft hat.
Wie reagieren Sie, wenn jemand sagt, dass etwas nicht umsetzbar ist?
Lonneke Gordijn: Wir glauben nicht an das Unmögliche. Irgendwie geht es immer. Manchmal muss man zurück zur Basis gehen und überlegen, was man eigentlich erreichen wollte. Können wir es auf andere Weise tun? Manchmal muss man Dinge auch erst erfinden. Ich spreche übrigens davon, etwas physisch möglich zu machen – in der virtuellen Welt mit 3D-Animationen kann man ja sowieso schon vieles realisieren.
Wir konzentrieren uns aber auf diese Realität und konfrontieren unser Publikum mit gegenständlichen Kunstwerken.
Ralph Nauta: Wenn wir ein Projekt vorschlagen, und mein Gegenüber sagt „Oh, das ist einfach“, dann bin ich nicht interessiert. Ich brauche die Herausforderung. Wenn jemand sagt: „Das ist absolut undenkbar“ und dann nach drei, vier Gesprächen beginnt,
zu verstehen, dass es vielleicht doch möglich wäre, wenn man eine Maschine auf eine andere Weise kalibriert oder einen bestimmten Code anders schreibt, dann wird es spannend. Das ist der Weg der Erfindung – und für mich der eigentliche Wert guter Kunst.
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wovon träumen Sie?
Ralph Nauta: Wir arbeiten jetzt gerade an unserem Traum. Wir eröffnen unser eigenes Museum in Amsterdam, wo alle unsere Werke zusammenkommen. Wir sind frei von einem kuratorischen Programm oder jemandem, der sagt, dass etwas aufgrund unterschiedlicher Interessen nicht möglich ist. Es fühlt sich also so an, als könnten wir zum ersten Mal einfach… arbeiten.
Gerade scheint es so, als wenn viele Menschen sich danach sehnen, offline zu sein: Kann Technik uns der Natur da wirklich näher bringen?
Lonneke Gordijn: Ja, ich glaube schon. Wir können eine Umgebung entwickeln, in der wir uns menschlicher fühlen. Aber es kann auch andersherum sein, man muss also sehr vorsichtig damit sein. Uns geht es darum, wie wir Menschen miteinander und mit den Orten um sie herum verbinden wollen. Die Bewegungen, die unseren Arbeiten innewohnt, bringen Menschen auf die gleiche Wellenlänge – und das ist die Kraft der Technologie, die uns der Natur wieder näher bringt.
Die Shylight Installation, ermöglicht durch American Express, wird vom 11. April bis 12. Mai 2024 für alle Besucher:innen kostenlos zugänglich sein und bietet eine faszinierende Erfahrung, bei der die Grenzen zwischen Kunst und Technologie verschwimmen.