- Fine Dining in Hamburg – mitten im Industriegebiet
- Funky Grooves, Hafenblick und ein Hightechherd in der Lagerhalle
- Labortechnik hält die Gerüche in der Küche
- Brot und Butter sind im 100/200 kitchen eine Delikatesse
- Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
- Sternekoch Imbusch zaubert Rind in einer neuen Dimension
- Der zweite Michelin-Stern war eine Überraschung
- Die wichtigsten Infos zum 100/200 kitchen
Fine Dining in Hamburg – mitten im Industriegebiet
Auf vier Spuren rollt der Verkehr auf der B75 zu oder von der Freihafenelbbrücke. Kurz vor dem eindrucksvollen Stahlbauwerk, auf nördlicher Seite des Oberhafenkanals, geht eine kleine Straße ab: der Brandshofer Deich. Dunkle Lager- und Bürogebäude, eine leere Tüte weht über das Pflaster. Möwen kreischen. An diesem Montagabend wirkt die Gegend wie das, was sie ist: ein scheinbar menschenleeres Industrieviertel. Und hier soll sich ein 2-Sterne-Restaurant befinden?
Hausnummer 68. Tatsächlich, an der Eingangstür steht es neben dem Klingelknopf, 100/200 kitchen. Eine Stimme meldet sich aus dem Lautsprecher: Bitte mit dem Aufzug in den dritten Stock fahren; ohne Termin kommt hier niemand hinein. Als oben die Türen auseinandergleiten, öffnet sich der Blick auf eine andere Welt.
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Funky Grooves, Hafenblick und ein Hightechherd in der Lagerhalle
Wände und Decke der ehemaligen Lagerhalle sind schwarz gestrichen; großformatige, runde Bronzebilder setzen Akzente. Honigfarbene Lichtinseln erhellen die aus Baumstämmen gefertigten Holztische, an denen eine sehr heterogene Gästeschaft sitzt – manche in Jeans und Turnschuhen, andere im formellen schwarzen Anzug oder Cocktailkleid, alt und jung.
Und mittendrin: die Kücheninsel mit dem mächtigen und in Deutschland in dieser Form einzigartigen Gas-Hightechherd von Molteni, wo Küchenchef Thomas Imbusch und drei Kollegen geschäftig, aber gelassen zaubern. Sollte in einer Sterneküche nicht eigentlich Hektik herrschen?
Nicht im 100/200 kitchen. Die Köche arbeiten konzentriert und fix, schnacken und lachen aber zwischendurch auch mal. Zu hören ist davon kaum etwas, auch nicht von den Gesprächen der anderen Gäst:innen. Stattdessen: funky Grooves in präsenter Lautstärke von Motown bis zu den Red Hot Chili Peppers, die Laune machen und perfekt zu den zuckenden Lichtern des Hafens vor den Fenstern passen.
Labortechnik hält die Gerüche in der Küche
Merkwürdig: Auch zu riechen ist nichts, obwohl keine fünf Meter entfernt gekocht, gebraten und gebacken wird. Labortechnik, erklärt Mitinhaberin und Sommelière Sophie Lehmann später: Aus zwei Luftschläuchen wird zwischen Küche und Gastraum eine Luftschranke aufgebaut – Bakterien und Viren gelangen nicht in die Küche hinein, Gerüche nicht aus ihr heraus.
Nur ein einziges Mal, ein ganz kurzer Hauch. Mmh. Riecht wie die Zimtschnecken von Oma damals. Glücksgefühle schon vor dem ersten Happen.
Zur Person: Thomas Imbusch
Brot und Butter sind im 100/200 kitchen eine Delikatesse
Was da so köstlich duftet, offenbart sich erst am Ende des Mahls. Los geht es eher rustikal: mit einem noch warmen, außen knusprigen und innen wunderbar fluffigen Sauerteigbrot. Ein kleiner Laib, in dicke Scheiben geschnitten. Per Hand werden sie in Quarkbutter getunkt, die mit orangefarbenem und grünem Öl verziert ist. Der sanftwürzige Geschmack des Brots, die milde Cremigkeit der Butter, ein Hauch von Rosmarin und Chili. Göttlich.
Zur Brotzeit reicht Sophie Lehmann einen 2014er Rosésekt des Weinguts Ziereisen im südlichen Markgräfler Land. Er perlt in dem eiskalten, aus gehämmertem Silber bestehenden Sektkelch von Robbe & Berking.
Der Winzersekt hat Charakter: ungekünstelt, kantig, mit einer leicht fruchtig-herben Note, deren Komplexität sich nur langsam entfaltet. Lange hätten sie gesucht, bis sie mit dem Weingut Ziereisen die passende Kelterei fanden. „Die sind mit Wein genauso verrückt wie wir mit dem Essen“, lacht sie, und ihre blauen Augen blitzen fröhlich.
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Ver-rückt im Wortsinn, abseits der gewohnten Schienen: ja, durchaus. Das Speisekonzept des 100/200 kitchen ist ungewöhnlich. Keine Karte, keine Wahlmöglichkeiten, stattdessen vier „Saisons“:
- „Feld & Flur“ im Frühling – Rind und Krustentiere, das erste Gemüse und Schnecken
- „Wasser & Salz“ im Sommer – regionaler Fisch und Meeresfrüchte (nicht rein pescetarisch), Eingelegtes und Geräuchertes aus dem letzten Jahr
- „Die Saison“ im Herbst – rein vegetarisch, nicht vegan
- „Feuer & Rauch“ im Winter – heimisches Wild und Krustentiere, letzte Früchte
Gegessen wird dabei, was auf den Tisch kommt – eine Anpassung der Gerichte ist nicht möglich. Schränken diese saisonalen Vorgaben Kochkünstler Thomas Imbusch nicht ein? Doch, sicher, sagt Sophie Lehmann. „Sich einzuschränken ist ja aber nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Es steigert die Kreativität. Und muss ich wirklich Erdbeeren zu Weihnachten essen? Verzicht kann auch Genuss sein.“ Das Konzept sei keine fancy Attitüde, sondern Ausdruck der tiefen Überzeugung, dass regionale, saisonale Küche die beste sei.
Im Sommer beispielsweise gebe es Gemüse und Früchte im Überfluss, es mache „überhaupt keinen Sinn, dann ein Rind zu schlachten“, erklärt sie. Das 100/200 kitchen besitzt eine eigene Herde, die Tiere leben auf der Weide und werden vor Ort geschlachtet – null Stress, beste Lebensbedingungen. Und das, so versichert Lehmann, schmecke man.
Sternerestaurants in Hamburg
Ein Michelin-Stern: Lakeside, Zeik, Piment, Jellyfish, Petit Amour, Landhaus Scherrer
Zwei Michelin-Sterne: Restaurant Haerlin, Bianc, 100/200 kitchen
Drei Michelin-Sterne: The Table Kevin Fehling
Wusstest du schon? Mit der Platinum Card sicherst du dir jährlich 150 Euro Guthaben für die besten Restaurants in Deutschland und der Welt – darunter auch die Hamburger Sternerestaurants The Table von Kevin Fehling und das Bianc.*
Sternekoch Imbusch zaubert Rind in einer neuen Dimension
Stimmt. Nach einem fein komponierten Salat – Eingelegtes aus dem vergangenen Sommer und Herbst, frische Kräuter, Ziegenkäsekleckse und zwei Scheibchen Glückliches-Schwein-Schinken aus eigener Herstellung – kommt Rind auf den Tisch. Ein schmelzend zartes Rohfleisch, perfekt inszeniert mit ein wenig frisch gemahlenem Kaffee darauf, der den leicht nussigen Geschmack des Fleisches unterstützt. Was für eine hervorragende Kombination, wer hätte das gedacht?
Dann ein törtchenartiges Gebilde: ein Fleischscheibchen von unglaublich feiner Konsistenz und mit einem ungewohnten, fast wildartig anmutenden Aroma, das prächtig mit der leichten Schärfe einer gedünsteten, hauchdünnen Rettichscheibe, der süß-säuerlichen Fruchtigkeit von Rhabarber und frischen Kräutern harmoniert.
Und schließlich ein Eierbecherchen mit Ragout, schaumig-leicht und so intensiv im Geschmack, dass es mehr als ein paar Löffel gar nicht sein dürften. Auch hierin: zarte Rinderhäppchen.
Das passende Bett nach dem deliziösen Mahl
Hamburg ist immer eine Reise wert, wegen seiner Hafenatmosphäre, den vielen Sehenswürdigkeiten, den Shoppingmöglichkeiten, dem reichen kulturellen Angebot und den hervorragenden Restaurants. Übernachten kannst du hier beispielsweise in luxuriösen Wellnesshotels. Weitere Hoteltipps:
- SIDE Hotel: Stylishes Designhotel in der Innenstadt mit fantastischer Rooftop-Bar
- THE FONTENAY Hamburg: Luxushotel an der Außenalster, Infinitypool, Dachterrasse mit spektakulärem Blick
- Henry Hotel Hamburg Downtown: Midcentury-Boutiquehotel im trubeligen St. Georg
Der zweite Michelin-Stern war eine Überraschung
Es war nicht wie vermutet Filet, weder im Ragout noch im „Törtchen“. Wie der Brief mit der Menüfolge verrät, den es später zum Abschied zusammen mit einem Schächtelchen deliziöser Macarons gibt, waren es: Lunge und Zunge. „Wir verarbeiten grundsätzlich immer das ganze Tier“, erklärt Sophie Lehmann.
Nicht zuletzt aus diesem Grunde sei das Essen bei jedem Besuch eine Überraschung – Hühnerfüße, Innereien, das könnte abschrecken und etwaige Vorurteile den Genuss trüben. „Uns geht es ja nicht darum zu provozieren“, sagt sie entschieden. „Sondern um Nachhaltigkeit und vor allem um die Wertschätzung für und den Respekt vor den Tieren.“
Dieser Grundsatz wird vom 100/200-Team sehr konsequent praktiziert. Der Grüne Stern des Guide Michelin sei deshalb nicht wirklich überraschend, freue sie aber sehr, so Lehmann weiter. Mit dem zweiten „normalen“ Stern dagegen – 2019 gab es den ersten – hätten sie nicht gerechnet. „Ich hätte nie gedacht, dass das bei diesem Konzept möglich ist.“ Sophie Lehmann klingt immer noch ungläubig.
Toilettentänze und zimtige Träume
Der Abend schreitet voran, der Schaumwein fließt („Da sind wir nicht geizig!”). Ein Boot tuckert unten den Kanal entlang, und eine S-Bahn gleitet wie ein fluoreszierender Wurm über die Brücke in der Ferne. Die Beats zucken in Herz und Beine – wie gut, dass sich in den schwarz gekachelten, stylish-edlen Toilettenräumen so formidabel tanzen lässt!
Ein bisschen Bewegung tut gut, schließlich folgt noch der Nachtisch. Da ist er wieder, dieser Duft nach Omas Zimtschnecken, dieses Mal direkt vor der Nase. Eine Brioche in lustiger Pilzform, mit Zimt, Zucker und Butter eine Reminiszenz an die Hamburger Franzbrötchen, erklärt der Kellner. Er rät, Stückchen abzuzupfen und in die süße Vanillesahne zu tunken, und zwar ordentlich: „Viel hilft viel in diesem Fall.“ Wie Recht er hat.
Ein letzter Schluck Schaumwein. Noch einmal der Blick auf die Hafenszenerie. Ein glücklicher Seufzer. Nicht der letzte – das Wohlgefühl hält Tage an.
Die wichtigsten Infos zum 100/200 kitchen
Adresse: Brandshofer Deich 68, 20539 Hamburg (Rothenburgsort)
Öffnungszeiten: Bitte hier entnehmen – je nach Saison unterscheiden sich diese.
Sterne: Zwei Michelin-Sterne, ein Grüner Michelin-Stern
Küche: Regional, saisonal, bio; nicht veränderbares Überraschungsmenü