- Zwei Jahre für ein Bier: Gutes Craftbeer braucht Zeit
- Eine Familie, eine Brauerei: Wildwuchs-Bier ist Familiensache
- Craftbeer-Szene in Hamburg: Vielfalt ohne Konkurrenzdruck
- Wildwuchs zeigt: Bierbrauen geht auch nachhaltig
- Produziert in Hamburg, bleibt in Hamburg
- Zum Kuchen ein X-TRA: Empfehlungen vom Biersommelier
Zwei Jahre für ein Bier: Gutes Craftbeer braucht Zeit
In der großen Lagerhalle in der Jaffestraße 8 in Hamburg-Wilhelmsburg zischt und blubbert es in unzähligen Tanks. Hier stellt Braumeister Friedrich Carl Richard Matthies, genannt Fiete, mit seinem Team ausschließlich ökologisch zertifiziertes Craftbeer her – vom Ansatz der Maische bis zur Abfüllung. Beim Eintreten fällt der Blick auf ein meterhohes Regal voller Holzfässer. Rum und weitere Spirituosen sind darauf vermerkt. Was hat das mit nach traditionell handwerklichen Methoden gebrautem Craftbeer zu tun?
In den acht Fässern lagern bereits seit anderthalb Jahren Biere aus demselben Sud, die durch das Holz und die Vorbelegung mit den Spirituosen einen individuellen Geschmack bekommen. Diese Sorten werden sich später durch einen hohen Malz- und Alkoholgehalt auszeichnen. Von Zeitdruck und Massenproduktion keine Spur, das Bier lagert insgesamt stolze zwei Jahre im Fass. Das Wildwuchs Brauwerk ist mit den großen industriellen Brauereien nicht zu vergleichen.
Good to know
Eine Familie, eine Brauerei: Wildwuchs-Bier ist Familiensache
Fiete, der aus Hamburg-Finkenwerder stammt, hat das Wildwuchs Brauwerk im Jahr 2014 mit zwei seiner Brüder gegründet. Zunächst wurde in Bleckede gebraut, einer Kleinstadt in Niedersachsen, seit 2018 ist die Brauerei in Hamburg-Wilhelmsburg zu Hause. Während sich Fietes Brüder um Design und Vertrieb kümmern, unterstützt ihn sein Cousin beim Brauen und Abfüllen.
Auch Fietes Frau arbeitet mit, das Brauwerk ist ein echter Familienbetrieb. Insgesamt kümmern sich 14 Mitarbeiter:innen um Produktion, Vertrieb, Auslieferung und hauseigene Gastronomie. Mit einer Frauenquote von 50 Prozent beweist das Unternehmen, dass das angestaubte Image des Bierbrauens als Männerdomäne ausgedient hat.
Dry hopped, was heißt das eigentlich?
Craftbeer-Szene in Hamburg: Vielfalt ohne Konkurrenzdruck
Neben dem Wildwuchs Brauwerk gibt es weitere exzellente Craftbeer-Brauereien in Hamburg. Doch: „Konkurrenzdenken gibt es unter den Mikrobrauereien nicht“, sagt Fiete. Im Gegenteil, sie tauschen sich aus, kommen regelmäßig im Hamburger Senatsbock e. V. zusammen – ein eigener Verein für eine Biersorte. Als ihm einmal das CO2-Messgerät kaputtgegangen sei, habe ihm ein Kollege spontan ausgeholfen.
Doch das Wildwuchs hat ein Alleinstellungsmerkmal: Es stellt als einzige Hamburger Brauerei ausschließlich Biobier her. Die Zutaten wie Hopfen und Malz stammen aus kontrolliert ökologischem Anbau, zu den Betrieben hält Fiete seit Jahren persönlichen Kontakt. Die Energie für die Produktion kommt aus ökologisch erzeugtem Strom und Gas.
Je nordischer der Ursprung einer Zutat, desto besser. Die Gerste bezieht Wildwuchs aus Schleswig-Holstein, der Hopfen kommt derzeit noch aus der Gegend von Nürnberg – Fiete sieht sich aber bereits nach regionalen Möglichkeiten um. Die Bioqualität trifft den Nerv der Zielgruppe und ermöglicht, das Bier auch in Reformhäusern zu verkaufen.
Was kostet das Wildwuchs-Bio-Craftbeer?
Wildwuchs zeigt: Bierbrauen geht auch nachhaltig
Die nachhaltige Produktion ist Fiete wichtig, der Diplom-Braumeister fühlt sich der Umwelt verpflichtet: „Eigentlich ist es die logische Konsequenz, dass man seine Umwelt so stark schont, wie es irgendwie geht, wenn man Lebensmittel herstellt.“ Auf Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat verzichtet er. Allein um das Artensterben aufzuhalten. Das Bier bringe Natur in die Stadt, heißt es auf der Website des Brauwerks, etwas „urbanen Wildwuchs“. Das erklärt auch den Markennamen.
Dass gelebte Nachhaltigkeit vor allem Kreativität bedeutet, zeigt eine ganz besondere Biersorte: Für das BROID verwendet der Biersommelier altes Brot einer regionalen Bäckerei. Mit Bierkonsum Lebensmittel retten – das schmeckt. Eiskalt und direkt aus dem Tank kommt das New England IPA fruchtig und frisch rüber.
Weitere ausgefallene Biersorten bei Wildwuchs sind das Sutsche Witbier, das mit Koriander und Orangenschale gebraut wird, sowie das saisonale Kürbisbier Körbs. Und da in Hamburg ein Kaffee-Input nicht fehlen darf, gibt es das Wachmoker Kaffee Ale, in dem Kaffee die Hauptrolle spielt: 13,2 Milligramm Koffein bietet der Wachmacher auf 100 Milliliter. Zum Vergleich: Cola kommt auf acht, Energiedrinks auf circa 30 Milligramm pro 100 Milliliter.
Woher nimmt der Braumeister die Inspiration für die vielen Sorten? „Eigentlich kommt die so. Ich versuche, mit offenen Augen durch die Welt zu laufen“, meint Fiete. Als vor der Brauerei die Zierquitten Früchte trugen, habe er diese kurzerhand für ein Quittenbier eingesammelt. Das Gute liegt so nah, manchmal sogar vor der Haustür.
Zu den Neuheiten der Brauerei zählt zudem die Sorte INGE, ein Helles mit Ingwer. Der Ingwer stammt nicht aus Übersee, sondern aus Stelle, einer Gemeinde nahe Hamburg. Er wird in der Brauerei von Hand geschnitten. „Dann duftet es im Wildwuchs wunderbar nach der scharfen Knolle“, schwärmt Fiete.
Produziert in Hamburg, bleibt in Hamburg
1.800 Hektoliter Bier hat Wildwuchs 2021 hergestellt. Die Hamburger Stadtgrenzen verlassen die Flaschen meistens nicht. „85 Prozent des Bieres, das wir produzieren, verkaufen wir auch in Hamburg. Die restliche Menge geht nach Kiel, nach Stade, nach Lüneburg. Einen Bruchteil verkaufen wir über unseren Onlineshop nach ganz Deutschland.“
Von Hamburg in die ganze Welt? Expandieren will Fiete vorerst nicht, wenngleich er die Idee eines Workshopteilnehmers, sein Bier auch auf Kuba zu verkaufen, verlockend findet. Realistischer wäre erst mal eine zweite Brauerei in Deutschland, aber wohl nicht in den nächsten zehn Jahren.
Durstig geworden?
Übrigens: Ihr Fachwissen geben Fiete und sein Team bei regelmäßigen Tastings weiter, auch Brauseminare finden im Wildwuchs Brauwerk statt.
Dein nächstes Dinner geht auf uns
Zum Kuchen ein X-TRA: Empfehlungen vom Biersommelier
Riechen und schmecken seien im Herstellungsprozess besonders wichtig, erklärt der Braumeister. Klar, dass Fiete sein Bier auch selbst gern trinkt. Ein Gläschen am Tag gönnt er sich. Das habe schließlich bereits der Großvater so gemacht, erzählt er augenzwinkernd.
Zu welchem Bier greift der Experte denn gern? „Das kommt ganz auf die Situation an. Grundsätzlich mag ich das BROID, unser Schlankes Lager und unser Fastmoker Pils.“ An kalten Tagen dürfe es für etwas Frühlingsgefühle das Sutsche sein, zum Kuchen passe ein X-TRA, ein Imperial Dark Ale.
Kann ein Biersommelier wie Fiete bei so viel Craftbeer-Erfahrung eigentlich noch „normales“ Bier trinken? Er schmeckt definitiv den Unterschied, sagt er. Für private Feiern hat er eine gute Konfliktvermeidungsstrategie: Der Braumeister bringt das Bier einfach selbst mit. Und wenn es diese Möglichkeit nicht gibt, weiß Fiete sich ebenfalls zu helfen: Auf Konzerten zum Beispiel bestellt er sich gerne einen Wein – denn einen schlechten Wein bekommt er immer noch besser durch den Hals als ein schlechtes Bier.